Eltern haften für ihre Kinder

It's a maexotic world ...


Scale Of Justice (Dave the Rave / wikimedia.org)
Klingt das vertraut? Anscheinend nicht für alle, denn anders ist die Aufregung um ein Urteil des Landgericht München I nicht zu erklären. Aus der Pressemitteilung des LG München I zu Az. 7 O 16402/07:

Nach einem am 19.6.2008 verkündeten Urteil der 7. Zivilkammer können Eltern neben ihren Kinder haftbar gemacht werden, wenn diese mittels des bereitgestellten elterlichen Internetzugangs urheberrechtlich geschützte Werke Dritter widerrechtlich und schuldhaft öffentlich zugänglich machen.
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Die Beklagten haben nach Auffassung der Kammer ihre elterliche Aufsichtspflicht verletzt. Grundsätzlich bedürfen nach der Rechsprechung des BGH Minderjährige stets der Aufsicht.

Was war passiert?
Eine damals 16-jährige hat Bilder geklaut, zu einem Video zusammengesetzt und dieses bei diversen Video-Portalen eingestellt. Der Rechteinhaber ist nicht nur gegen die Tochter, sondern auch gegen deren Eltern, als Mitstörer, vorgegangen. Die Eltern haben versucht sich herauszureden, dass die Tochter sich besser mit Computern auskennt als sie selbst und dass die Tochter an der Schule einen IT-Kurs gehabt habe. Deshalb sei es nicht nötig gewesen die Schülerin zu belehren und deshalb könnten sie auch ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen.

Dieses Urteil führt zu - für mich unverständlicher - Polemik von Seiten von Rechtsanwälten und selbst das Webwatcher Blog des Handelsblattes (das ich für gewöhnlich sehr schätze) spricht von einem Absurditätenkabinett. Über was sich jedoch alle ereifern zeigt, dass sie es entweder nicht gelesen oder nicht verstanden haben:

Zuallererst stellt sich doch die Frage, wie Eltern beweisen sollen, dass sie ihr Kind "einweisend belehrt" haben und wenn ja, wie diese Belehrung aussah. Ich empfehle insofern, dem Kind eine schriftliche Einweisung und Belehrung zu übergeben, welche dieses dann nach Kenntnisnahme unterzeichnet.

Das Gericht hat nicht festgestellt, wie so eine Beratung auszusehen hätte und welche Nachweise erbracht werden müssen. Es hat nur gefordert, dass im Rahmen der elterlichen Aufsichtspflicht eine derartige Einführung und Belehrung hätte stattfinden müssen. Und die Eltern haben ja selbst ausgesagt, dass sie dies nicht für nötig erachtet haben.

Die in den Blogs ausgedrückte Einstellung - und die in den Kommentaren - kann ich nicht nachvollziehen. Für mich liest sich das so, als wäre es den Eltern ziemlich egal gewesen, was ihre Tochter mit dem Computer und dem Internet treibt. Und als Ausrede muß dann herhalten, dass sie sich nicht auskennen. Seit wann schützt Unwissenheit vor Strafe, und was hat die Eltern davon entbunden ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen? Weil sie nicht willens waren sich zu informieren oder dies unzumutbarer Aufwand gewesen wäre? Die VHS in München bietet auch für Eltern Computer- und Internetkurse an. Eltern sein bedeutet für mich auch ein gewisses Maß an Verantwortung. Und auch wenn meine Eltern vor 25 Jahren sicher nicht alles verstanden haben, was ich mit meinem Computer gemacht habe, so haben sie doch zumindest Interesse gezeigt und versucht es zu verstehen. Und genauso haben sie versucht an meinem restlichen Leben Anteil zu nehmen.

Es stellen sich jedoch einige in diesem Zusammenhang weitere Fragen. Was könnte die Tochter wohl sonst noch so gemacht haben? Ist es den Eltern auch egal

  • ob sie auf Sex-Seiten landet oder sich Hardcore-Pornos reinzieht? Schließlich sollte mittlerweile flächendeckend bekannt sein: "The Internet is for Porn".
  • oder ob sie eine große Nummer in Tauschbörsen ist?
  • oder eine noch größere Nummer in der Kiddie-Porn Szene, indem sie nachmittags, wenn die Eltern nicht da sind, mit der Webcam ein bisserl was nebenher verdient?
  • oder ob sie die Schläger-Videos für Freunde editiert?
  • oder ob sie rechtsradikale Treffen für Mitschüler organisiert?
  • oder ...?

Sind obige Punkte auch Bestandteil von "ein gewisses Mass an selbständigem Handeln als notwendigen Teil des Erziehungsprozesses ausdrücklick gutheißen", wie es in den Kommentaren des Handelsblattes gefordert wird?

Niemand spricht hier - wie es in den polemischen Kommtaren immer anklingt - von einer lückenlosen, permanenten Überwachung. Aber reden denn die Menschen in den Familien heute nicht mehr miteinander? Wenn ein 16-jähriges Mädchen ein - vermute ich jetzt mal - Fan-Video bastelt und auf Video-Portale hochlädt, dann denke ich, ist sie in gewisser Weise auch stolz auf ihre Leistung. Ich hätte das meinen Eltern erzählt - mache ich heute noch. Und meine Eltern hätten spätestens das zum Anlass genommen, um mit mir ein Gespräch darüber zu führen.

Ich kann mich noch gut erinnern, als ich im ersten Semester Informatik-Studium am Wochenende nach Hause kam und meine Mutter mir bei passender Gelegenheit einen Zeitungsartikel unter die Nase gehalten hat, in dem darüber berichtet wurde, dass sie in den USA einen Hacker für ein paar Jahre in den Knast gesperrt haben. Wir haben uns dann über die Thematik des Crackens unterhalten (und ich musste ihr versprechen, so etwas nie zu tun :-) ). So muß das ablaufen, nicht "Augen zu und durch, Hauptsache ich habe meine Ruhe", und hinterher rumjammern.

Es scheint sich aber um einen generellen Trend der Gleichgültigkeit zu handeln:

  • warum sonst gibt es einen riesen Tamtam um fehlende Kinderkrippenplätze, in denen die Eltern ihre Kinder ab der sechsten Lebenswoche ganztags loswerden können. Wer erzieht das Kind? Wann sind sie mit dem Kind zusammen? Wieso haben sie überhaupt ein Kind in die Welt gesetzt?
  • Alkoholismus bei Kindern - ein Riesenproblem. Wieso laufen 12-jährige Kinder nachts um 23 oder 24 Uhr noch auf der Straße herum? Woher haben sie das Geld für den Alkohol, mit dem sie sich jedes Wochenende die Birne bis zur Bewusstlosigkeit zuschütten? Und wieso merken die Eltern davon angeblich nichts?
  • wieso haben 10 und 12-jährige Kids eine Playstation Portable oder eine Playstation3 und jeden Monat ein oder zwei neue Spiele dafür? Alleine ein Spiel kostet soviel, wie ich als 16 bis 18-Jähriger im Monat insgesamt an Taschengeld bekommen habe - in DM allerdings, nicht in Euro. Mein Taschengeld war aber durchaus Durchschnitt. Eine PS3 hätte ich mir nie leisten können - heute der Preis der Ruhe und des Ausweichens vor Konflikten?

Seit das Internet eine größere Verbreitung erfahren hat und ich mit Freunden und Eltern darüber spreche, habe ich immer betont, dass das Internet im jetzigen Zustand nicht dazu geeignet ist, dass sich Kinder ohne Aufsicht darin herumtreiben. An meiner Einstellung und den Gründen dafür hat sich in den letzten 20 Jahren nichts geändert, eher im Gegenteil, denn mittlerweile hat auch das organisierte Verbrechen sich richtig breit im Internet gemacht.

Insofern bin ich der Meinung, dass das Urteil voll und ganz in Ordnung geht, umso mehr, wenn man sich den Pressetext einmal komplett durchliest und nicht nur die polemischen Kommentare und die anscheinend dazu passenden Passagen der Pressemeldung. Auch das gehört zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet und den Medien überhaupt: dass man sich kritisch mit ihnen auseinandersetzt. Dies hat schon Vint Cerf, einer der Väter des Internet, vor Jahren in "Truth And The Internet" festgehalten.

Aber Nachdenken scheint manchen Leuten wohl weh zu tun und wer erleidet schon gerne Schmerzen.




Comments

    • Posted byAnonymous
    • on
    [ der nachfolgende Kommentar war anonym und hat die CAPTCHA Barriere nicht geschafft - nicht wirklich verwunderlich ]

    Dein Konnentar liegt so was von daneben !!!!diese liebe Fotografin will Kohle und weider gar nichts.Vielleicht solltest du dir mal einen Kopf machen was sie überhaupt für Bilder ins Netz gestellt hat. Hast überhaupt nicht kappiert um was es geht....Kurs in München machen????weißt doch gar nicht wo die bedreffenden Eltern wohnen...Gibst da was von dir und hast keine Ahnung....echt schade...
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    • Posted byMaex
    • on
    - ja, es ist voll erstaunlich, dass jemand der seinen Unterhalt mit Fotos bestreitet Geld dafür verlangt und nicht glücklich ist, wenn sie gestohlen werden
    - doch, ich habe kapiert um was es geht: jemand hat Fotos unberechtigt verwendet und damit ein Video zusammengesetzt und das veröffentlicht
    - da die Sache vor dem Landgericht München verhandelt wurde und Gerichte dazu tendieren Privatpersonen keine unnötig schweren Bürden bei Verhandlungen aufzuerlegen, war ich davon ausgegangen, dass sie im Einzugsbereich von München leben/wohnen. Selbst wenn das nicht der Fall ist bieten auch anderen VHSn entsprechende Kurse an. Und teuerer als für ein Gerichtsverfahren nach München zu fahren zu müssen denke ich wird es sicher nicht sein
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